Schilddrüsenknoten

Jeder Dritte hat Schilddrüsenknoten. Manche fragen sich, warum. Was es bedeuten soll. Ist das harmlos, sollte man etwas dagegen tun? Was kann sich daraus entwickeln? Und aus dieser Konstellation heraus ergibt sich dann bald die drängendste aller Fragen: Sind Schilddrüsenknoten überhaupt heilbar? Kurz gesagt: Ja.

 

Ich betreibe seit über zehn Jahren eine internistische Praxis, die sich auf die Behandlung von Schilddrüsenerkrankungen spezialisiert hat und werde deshalb auch fast täglich mit diesen Fragen konfrontiert. Denn Schilddrüsenknoten sind ein sehr häufiges Problem. Meine Antworten dazu sind aber im Laufe der Jahre anders geworden. Zuerst war ich wie viele Kollegen der Meinung, dass Knoten nur sehr schlecht auf Therapien reagieren. Auf der Universität hat man sich darauf beschränkt, einerseits gutartige von bösartigen Knoten zu unterscheiden und therapeutisch je nachdem mal lockerer oder aggressiver darauf zu reagieren. Das ist sicherlich wichtig. Einen Schilddrüsenkrebs möchte keiner übersehen. Dann gab es auf der Universität die Unterscheidung zwischen warmen und kalten Knoten, ein Begriff, der von der Strahlenmedizin geprägt ist. Wenn Sie ein Radionuklid in die Adern spritzen, das sich in der Schilddrüse anreichert, leuchtet der Schirm auf. Das ist mit „warm“ oder „heiß“ gemeint. Das Aufleuchten zeigt, dass diese Gebiete der Schilddrüse besonders aktiv sind. Dort wird Schilddrüsenhormon mit rasanter Geschwindigkeit hergestellt, und davon eigentlich auch zu viel. Warme Knoten nannte man das, und versuchte sie als Störenfriede auszulöschen. Diese Schilddrüsenzellen sind im Grunde genommen genauso verrückt wie Menschen, die pausenlos arbeiten, weil Arbeit für sie zum Lebenselixier geworden ist, und die sich dabei trotzdem erschöpfen und krank werden. Das Nachdenken über diese Parallele zwischen Menschen und ihren Knoten war bei mir der Auslöser dazu, über die Schilddrüse ganz anders nachzudenken. Sie als lebendiges Wesen anzusehen, als Organ, in dem sich der Mensch als Ganzes abbildet. Schilddrüsenknoten können sich vom übrigen Gewebe dieses Organs abkoppeln so wie sich Menschen von der Gesellschaft abschotten können. Diese Isolation kann verschieden aussehen. Ebenso wie der warme Knoten völlig autonom arbeitet, abgekoppelt von Gehirn und dem Rest des Körpers, gibt es Menschen, die verbissen und unermüdlich Leistung zeigen, an einem Projekt arbeiten, mit einem bestimmten Ziel vor Augen. Sie sind zu einer autonomen überaktiven Einheit geworden. Man blickt hier auf zwei verschiedene Ebenen eines ähnlichen Verhaltens, und nicht selten sind überaktive Menschen auch mit überaktiven Schilddrüsenknoten behaftet. Mit ihrer Überaktivität können warme Knoten, wenn sie das Maß ihrer Tätigkeit übertreiben, den Körper zugrunde richten, indem sie ihn mit Schilddrüsenhormon schwemmen, und das unabhängig von dessen wirklichen Bedarf. Und ähnlich kann ein Mensch durch den Stress, den er sich beispielsweise auf dem Weg zum Erfolg macht, sich selbst, aber auch das soziale Gewebe, das ihn umgibt, zerstören. Wenn ein heißer Knoten den Körper mit einer rasanten Überfunktion, der thyreotoxischen Krise, zu Fall bringt, sitzt er mit hoher Wahrscheinlichkeit in einem Menschen, der in seiner Wesenheit dazu passt und dessen Kerze, wie es in der Metapher heißt, von beiden Seiten brennt.

Aber auch kalte Knoten lassen sich mit seelischen Konflikten und Persönlichkeitsmerkmalen in Verbindung bringen. Deshalb muss man sie, wenn es sich um Krebs handelt, mitunter auch chirurgisch entfernen, denn es gibt Gefährliches, Selbstzerstörerisches in jedem Menschen, und ist diese Fähigkeit erst einmal geweckt, helfen Streicheleinheiten nur mehr bedingt. Die Naturheilkunde eignet sich nicht für jede Situation. So wie ein Mensch den sozialen Verband verlassen kann, ein Gewaltverbrechen begeht und sich lebenslang nicht mehr eingliedert und isoliert werden muss, kann sich Schilddrüsengewebe bösartig entwickeln und verlangt drastische Gegenmaßnahmen. Darum soll es in diesem Buch aber nur am Rande gehen, denn Schilddrüsenkrebs ist in Vergleich mit kalten Schilddrüsenknoten sehr selten. Die überwiegende Mehrzahl der kalten Knoten ist gutartig und harmlos. Die meisten Knoten sind Phänomene, mit denen es sich leben lässt, wenn auch etwas mühsamer als zuvor. Muss man deshalb gleich zum Äußersten schreiten und sie chirurgisch entfernen wie das heute zur Norm des Handelns geworden ist? Ich glaube nicht. Denn man fügt dem Körper mit jeder Operation und dem Herausschneiden von Gewebe eine Wunde zu, raubt ihm einen Teil seiner selbst, und setzt eine Narbe, ohne dabei in seinem Handeln thematisch überhaupt auf die Frage einzugehen, welchen Sinn der Knoten hatte, welchen Zweck er verfolgte. Man macht sich leider auch nur sehr wenig Gedanken darüber, ob sein Herausschneiden vielleicht sogar den Schaden, den der Mensch längst erlitten hat, noch vergrößert. Denn die Bildung eines Schilddrüsenknotens ist im Grunde ein psychosomatisches Phänomen, das als Reaktion auf einen schädlichen Reiz aufgefasst werden kann. So ein Knoten kann nach meiner Erfahrung auch eine Entlastung für die Seele sein, und diese Möglichkeit der Selbstregulation durch Knotenbildung wird dem Menschen durch eine Operation geraubt, vor allem, wenn dabei die gesamte Schilddrüse entfernt wird.

Seit der Häufung des Auftretens der Autoimmunerkrankungen Hashimoto-Thyreoiditis und Morbus Basedow hat sich das alte, vereinfachte Bild der Schilddrüsenknoten ohnehin aufgeweicht. Was früher vorwiegend ein Jodmangelthema war, ist heute zu einem differenzierten Bild verschiedenster krankhafter Zustände geworden, die mal mehr, mal weniger gefährlich sind. Es sind Volkskrankheiten, die durch die gesellschaftliche Entwicklung entstanden sind, durch Hektik, Stress und Erfolgsdruck verbunden mit einem zunehmenden Verschwinden von Menschlichkeit, Geborgenheit und Muße. Das ist eine Erklärung dafür, warum aggressive schulmedizinische Maßnahmen heute bei Schilddrüsenknoten so selten „greifen“, und warum die Menschen immer stärker nach systemischen, sanften Lösungen rufen, die es ihnen erlauben, über die Behandlung ihrer Schilddrüse wieder mehr zu sich selbst, in die eigene Mitte zu finden. Durch drastische Therapien kann man vielleicht einen entgleisten Morbus Basedow in den Griff zu kriegen. Häufig aber erlebt man, dass chemisches oder chirurgisches Vorgehen eher zu einer Verschlechterung der Krankheit führt, weil sich der Körper gegen diese effektiven Maßnahmen aufgrund ihrer Brutalität wehrt. Im Konzert mit sanfter Medizin kommt es hingegen häufiger zu Heilungen, weil hier Militär und Diplomatie eine gute Mischung eingehen. Und bei der Behandlung der Hashimoto-Thyreoiditis zuckt man häufig ohnehin ratlos mit den Achseln und beschränkt sich darauf, dem Phänomen der Schilddrüsen-Selbstzerstörung hilflos zuzusehen. Diese Krankheit gilt vielen Ärzten als „unheilbar“, ein schrecklicher Begriff, der erst dann stimmt, wenn man hinzufügt: „Unheilbar mit den Mitteln der Schulmedizin“. Beide Krankheiten verursachen außerdem Knoten, und das auf ganz unterschiedliche Weise. Und auch hier stellt sich die Frage, wie man diese Knoten werten, wie man sie behandeln soll. Was stellen sie dar? Wie sind sie vom Körper „gemeint“ im Sinne einer psychosomatischen Sprache? Mit der üblichen Einteilung in kalte oder warme Knoten oder Krebs und Nichtkrebs ist es hier nicht getan.

Nach meiner Erfahrung steht heute dringend eine neue Einstufung der Möglichkeiten einer Schilddrüse an, knotige Gebilde zu schaffen. Denn besonders die Naturheilkunde braucht diese Struktur, um ein klares Bild in Bezug auf psychosomatische Ursachen zu finden und um ihre Heilmittel dementsprechend zuzuordnen. Wir können das nur, wenn wir einen neuen Blick auf die Schilddrüse werfen, und sie als Organ mit ihren Aufgaben zu verstehen versuchen. Erst wenn wir wissen, was eine gesunde Schilddrüse so macht, können wir Verknotungen überhaupt erst verstehen lernen und aus diesem Verständnis heraus Lösungsvorschläge entwickeln, wie damit umzugehen ist.