Die Nebenniere

Drüse des Kampfes, der Vitalität und der Stressresistenz

 

Die meisten von uns machen im Laufe ihres Lebens mit einer Nebennierenstörung Bekanntschaft, sofern wir uns dauernd überfordern. Unsere Kerze brennt an beiden Enden, und irgendwann brennen wir aus. Das Brennen der Kerze an beiden Enden ist für die meisten von uns die Nebennierenreizung, eine Überfunktion, die als Antwort auf ein Übermaß an Stress auftritt. Das Cortisol morgens wird hoch gemessen, und oft ist auch nachts das Cortisol schon erhöht aufgrund dieser Überanstrengung. Eine Nebennierenreizung dieser Art kann Jahre lang anhalten und erfordert ein eigenes therapeutisches Vorgehen um zu verhindern, dass es zu einer Nebennierenschwäche kommt.

 

Eine ausgeprägte Nebennierenschwäche erkennt man am niedrigen Blutdruck. Morgens nach dem Aufwachen Blutdruck messen und dann aufstehen und gleich noch einmal Blutdruck messen – das kann uns eindrucksvoll zeigen, wie unsere Nebenniere gerade arbeitet- beziehungsweise nicht mehr arbeitet. Ist ein ausreichender Aldosteronspiegel vorhanden, haben die Adern einen guten Füllungsdruck, das heißt, der Blutdruck ist systolisch wenigstens 120 mm Quecksilbersäule, und wenn man aufsteht, sackt er nicht einfach in den Keller, sondern bleibt auf dieser Höhe erhalten. Beim Aufstehen ist die Muskulatur in den Adern gefragt.

Sie zieht sich zusammen und damit verengen sich die Adern und der Blutdruck steigt. Aber eben nur in ausreichendem Maße, wenn die Nebenniere für einen guten Füllungsdruck gesorgt hat. So kann man den Grad einer Nebennierenschwäche sehr gut mit einer einfachen Selbstmessung feststellen, und auch von einer Nebennierenreizung unterscheiden, bei der der Blutdruck ganz im Gegenteil schon morgens erhöht sein kann, 150 mm Quecksilbersäule oder höher. Eine Blutdruckerhöhung durch Nebennierenreizung mit deutlichem erhöhtem Aldosteronspiegel findet man bei etwa einem Prozent der Bluthochdruckarten, das so genannte ConnSyndrom. Dabei wirkt sich auch die hormonelle Entgleisung so stark aus, dass es zur Kaliumverarmung im Blut kommt und zum Natriumüberschuss. Eine Nebennierenreizung mit hoch normalem Aldosteron und ohne Störungen der Elektrolyte ist weit häufiger, kommt in etwa 10 Prozent der Fälle von Bluthochdruck vor, und fällt laborchemisch nicht ganz so stark ins Gewicht, kann aber auch einen hohen Blutdruck hervorrufen und wird ähnlich therapiert. Ich habe hier als eine wichtige Säule der Behandlung Aldosteronantagonisten wie Spironolacton oder Eplerenon zur Verfügung, die mir den Blutdruck senken und die Mineralienstörung ausgleichen. Besteht der Bluthochdruck schon morgens beim Aufwachen, ist eine Nebennierenreizung die wahrscheinlichste Ursache. Da würde ich morgens im Labor den Aldosteronspiegel messen und ist dieser auch erhöht, dann kann ich sagen: Ich werde hier mit einem Aldosteronantagonisten als Gegenmittel Erfolg haben. Handelt es sich um ein Conn-Syndrom durch einen Aldosteron produzierenden Tumor, muss ich den Tumor finden und entfernen. Ist die Störung eine diffuse Reizung der Nebenniere, kann ich mit einem niedrig dosierten Aldosteronantagonisten einen direkten Gegenreiz schaffen und die Nebenniere auf diesem Weg beruhigen und heilen. Auch der niedrige Blutdruck morgens, der durch einen niedrigen Aldosteronspiegel bei Nebennierenschwäche entsteht, kann effektiv therapiert werden. Ich kann nämlich Aldosteron auch als Arznei geben, zum Beispiel in Form von Astonin H Tabletten, und damit Menschen mit Nebennierenschwäche helfen. Beide Arzneien werden im medizinischen Alltag bedauerlicherweise kaum eingesetzt, da wir diese morgendliche Blutdruckmessung, früher bekannt als Schellong-Test, kaum mehr durchführen, und Blutdrucksenker verschiedener Stoffklassen und Wirkweisen zu pauschal verordnen. Dafür wurden von der Pharmaindustrie Leitlinien forciert, die kaum Rücksicht auf körperliche Entstehungsmechanismen des Bluthochdrucks nehmen. Und hat einer einen niedrigen Blutdruck, gibt es gar keine Leitlinie, die das medizinische Handeln bestimmen würde, und deshalb bleibt dieses Phänomen im Alltag sogar meist unbehandelt. So erklärt sich, warum es für Patientinnen so schwierig sein kann, bei Nebennierenschwäche und Beschwerden durch einen niedrigen Blutdruck überhaupt Aldosteron verschrieben zu bekommen. Ihre Krankheit existiert eben nicht auf dem Papier von Leitlinien, nur in älteren medizinischen Folianten, die von den meisten Kollegen schon lange nicht mehr gelesen werden. Die Empfindung der Nebennierenschwäche lässt sich am Besten in die Worte fassen, man habe das Gefühl, auf Stress hin nicht mehr so belastbar zu sein. Wo man früher in Belastungssituationen ruhig blieb, wird man jetzt hektisch. Wo man früher gar kein Problem erkennen konnte und keinen Stressreiz wahrnahm, reagiert man jetzt ungeduldig und reizbar, und ist schreckhaft geworden. Eine gesunde Nebenniere hingegen schenkt uns das Gefühl der Überfülle unserer Kräfte, und setzt uns in den Stand, uns Anforderungen zu stellen und sie zu meistern. Wenn das verloren geht, sind wir dazu gezwungen, mit unseren Kräften haushalten zu lernen, und werden von Belastungen doch schnell überfordert. Auch bei körperlichen Belastungen wird man rascher erschöpft als in früheren Jahren und braucht längere Erholungszeiten, um sich wieder gut und leistungsfähig zu fühlen. Früher war man jeden Tag joggen und hat sich danach wie energetisiert gefühlt durch den Hormonüberschuss, der dabei entstand. Jetzt geht man vielleicht einmal im Monat joggen und merkt, dass man danach erschöpft und abgeschlagen ist und es Wochen dauern kann, bis man sich so eine Anstrengung wieder antut. Wirklich gut fühlt man sich in den späteren Jahren, wo die Nebenniere nur mehr auf halber Kraft läuft, nach Anstrengungen nicht mehr, egal, ob diese geistig, seelisch oder körperlich sind, da ist eine lauernde Schwäche und das Gefühl, seinen Aufgaben nicht mehr gewachsen zu sein. Vermehrte Beschwerden körperlicher Art stellen sich ein, darunter die körperliche Schlappheit gepaart mit leichter Erschöpfbarkeit, morgens schon müde, der Schlaf ist wenig erholsam, schon weil man nachts wieder wach war, aber auch neue ungewohnte Beschwerden: Lichtempfindlichkeit, man verträgt die Helligkeit der Sonne nicht mehr. Die Harnblase wird nervös, man entleert sie immer häufiger, auch nachts. Man neigt plötzlich zu Infekten – weil uns Cortisol nicht mehr so gut davor schützt. Wir spüren unsere Gelenke – weil die Arthrosen, die sich ja unbemerkt einstellen, sich durch den Cortisolmangel leichter entzünden und damit Schmerzen hervorrufen. Man entwickelt ein Tagestief gegen Nachmittag hin, bei dem man sich am Liebsten hinlegen möchte – das ist ein guter Impuls, denn Hinlegen steigert nachweislich die Cortisolbildung und vermindert den Bedarf. Wenn man hier vor dem großen Abfall von Cortisol die Kurve kriegt, wird man keine starke Gegenreaktion kriegen, denn eine Verarmung an Cortisol hat eine Alarmreaktion zur Folge, unter der sich abends zu einer Zeit, wo normalerweise niedrige Spiegel vorherrschen, ein Cortisolüberschuss entsteht, unter dem man sich wie aufgeputscht fühlt und schwer zum Schlafen kommt. Es fällt einem sehr schwer, zu einer vernünftigen Zeit ins Bett zu gehen, und es kann passieren, dass man zu jeder Zeit nachts aufwacht und dann eine Weile wach liegt, bis man wieder einschlafen kann.

Warum ist das so? Wenn Sie anfangen, Ihre Körpertemperatur zu messen, werden Sie feststellen, dass diese bei Schwächebeschwerden unter 36,0° Celsius abfällt, mitunter sogar bis 34,0°, und das umso mehr, wenn Sie sich zu stark angestrengt haben. Wenn Sie aber nach einer Schwächeepisode wie aufgeputscht sind und nicht zur Ruhe kommen können, findet man nicht nur einen hohen Cortisolspiegel, sondern auch eine normale oder sogar leicht erhöhte Körpertemperatur als Ausdruck dafür, dass Ihr Hormonsystem auf die Überforderungssituation im Prinzip adäquat reagiert hat, nämlich mit der Ausschüttung von Hormonen. Doch es ist nicht normal, jeden Tag die Feuerwehr zu rufen, also in eine hormonelle Notfallsituation zu geraten, die tagtäglich mit Notmaßnahmen von Seiten des Systems behoben werden muss. Über kurz oder lang wird es hier zu einer Überforderung eines oder mehrerer hormonbildender Organe kommen. Leider ist hier oft das schwächste Glied in der Kette die Nebenniere, und Sie gehen mit den Jahren den Weg über eine Nebennierenreizung zu einer dauerhaften Leistungsschwäche.