Über die Schilddrüse

Man nennt sie wegen ihrer Form auch die „Schmetterlingsdrüse“, und dieser Name passt auch zu der Empfindung, die sie uns verleihen kann.
Wenn die Schilddrüse gut funktioniert, werden wir leicht und flatterhaft. Sie verleiht uns Flügel. Wir können mit ihrer Hilfe alle unsere Anlagen entfalten. Wir „leben“. Dieser Begriff hat etwas von der Leichtigkeit, die wir erfahren, wenn wir beweglich werden. Es ist diese schöne Zeit nach der Bewegungsarmut und Schwere der Säuglingszeit, die uns erlaubt, das Stehen und Gehen und Laufen zu erfahren. Jene Zeit, in der wir flatterhaft, fast schwerelos und lustig sind, ein Kind geworden im wahrsten Sinne des Wortes, unbeschwert, neugierig, offen für die Welt. Diesen Zustand haben wir der Schilddrüse zu verdanken, denn sie ist es, die während der Säuglingszeit unermüdlich Jod verstoffwechselt, es an Aminosäuren gebunden hat. Damit ist dieses Alkalimetall der Meere für den Körper verständlich geworden. Jod ist langsam und unermüdlich in jede Pore unseres Körpers eingedrungen und hat die Körperzellen stimuliert und aktiviert, und das ist es letztendlich, was uns als Menschen unsere intellektuellen Gaben beschert, und unsere stürmischen Gefühle und die Beweglichkeit in unseren Gliedern hervorgerufen hat, die man Lebenslust nennt.

Die Schilddrüse ist ein ziemlich schlaues Organ. Wenn wir den Körper mit Unmengen von Jod überschwemmen, bremst sie ihre Hormonproduktion, weil sie diese Fülle als Gefahr erkennt. Wenn wir aber durch karge Zeiten gehen und nur sehr wenig Jod aufnehmen, verwendet sie diese Spuren immer klüger, wird immer sparsamer in ihren Produktionsabläufen, um auch noch das kleinste Jodatom für den Körper nutzbar zu machen. Bei lange anhaltenden Jodmangel-zuständen vergrößert sie sich deshalb auch. Sie baut neue, noch bessere Fabriken in der Hoffnung, damit eine ausreichende Hormonproduktion erzielen zu können. Das Ergebnis: Wir bekommen einen Kropf, eine Struma, eine sichtbare Vergrößerung der Schilddrüse als Vorwölbung am Hals. All das sind Mechanismen, die von den Körperdrüsen sonst in Ansätzen nur die Leber kennt, die Königin des Stoffwechsels. So smart wie die Schilddrüse aber ist sonst keine Drüse im Körper. Die Schilddrüse zeigt in Notsituationen richtig Eigeninitiative, und diese berechtigt sie auch dazu, anderen Hormondrüsen des Körpers zu sagen, was sie tun sollen. Auch das ist ungewöhnlich für ein „Endorgan“, wie man das nennt, für so einen Befehlsempfänger unter den Körperteilen. Hier hat die Schilddrüse den Status einer selbständigen kleinen Spezialisteneinheit, einer Elitetruppe, könnte man fast sagen, deren Anweisungen von Hoden oder Eierstöcken, Gebärmutter und Prostata, und von der Brustdrüse auch befolgt werden. Denn diese Drüsen können nur dann funktionieren, wenn die Schilddrüse mit ihrem Hormon eine Grundfeuchtigkeit und Wärme im Körper bildet, ein Humus, auf dem Geschlechtshormone überhaupt gedeihen können. Lässt die Schilddrüse mit ihrer Aktivität nach, verblühen diese Blumen, und Mann wie Frau gerät in einen Zustand, den man Klimakterium nennt. Sie werden alt vor dem Alter, mit allen Erscheinungen, die wir mit dem Alter assoziieren. Wir sehen alt aus und wir fühlen uns alt. Wir tun das aber nur, weil unsere Schilddrüse nicht funktioniert.

Die Schilddrüse zeigt ihre Intelligenz auch in ihrer Fähigkeit, dem Gehirn und dem übrigen Körper zuzuhören und dabei immer im Sinne des Gemeinwohls zu reagieren. Das Gehirn hat mit einem Botenstoff, dem TSH, die Möglichkeit, der Schilddrüse die klare Botschaft zu übermitteln, entweder mehr oder weniger Hormone zu produzieren, und das ganz fein abgestimmt von Minute zu Minute durch alle Biorhythmen des Tages und der Nacht und der Jahreszeiten hindurch. Der Körper hat feine Messfühler, mit denen er wahrnehmen kann, ob genug Jod in die Zellen gelangt. Er kann das dem Gehirn mitteilen, und dieses spricht mit der Schilddrüse. Aber darüber hinausgehend gibt es auch die Möglichkeit für das Gehirn, durch eine Erhöhung von TSH der Schilddrüse die Botschaft zu geben, die Hormonproduktion zurückzustellen in Fällen, in denen beispielsweise eine Überhitzung des Körpers durch Aktivität oder aufgrund klimatischer Bedingungen ein Nachlassen der inneren Hitze als wünschenswert erscheinen lässt. Oder wenn eine Panikattacke die Angst- und Stresshormone aufgewühlt hat, und davon ein ähnliches Zustandsbild entstanden ist wie bei einer Schilddrüsenüberfunktion: Herzklopfen, hoher Blutdruck, Schwitzen, Angst etc. Hier ist die Schilddrüse so intelligent, ihre eigene Produktion zu mindern und damit eine beruhigende Wirkung auszulösen, selbst wenn sie genau „weiß“, dass durch diese Störung und die Reaktion darauf auch die Jodversorgung der Zellen nicht mehr optimal sein wird.

Vielleicht die wichtigste Funktion der Schilddrüse ist es, uns überhaupt erst zu Individuen zu machen. Das kann gut oder schlecht sein. Bei einer kranken Schilddrüse sind wir nicht die Menschen, die wir „eigentlich“ sind, weil nicht nur die „Körperzellen“, wie wir das so allgemein formulieren, schlecht versorgt sind, sondern eben auch die Nervenzellen des Körpers, die unser Denken und Fühlen hervorrufen. Davon gibt es grob gesagt zwei Grundtypen. Die Nervenzellen des Gehirns sind für unsere intellektuellen Fähig-keiten zuständig, und die Nervenzellen im Bauch für unsere Gefühle. Unsere Instinkte, unsere Emotionen, unsere Ahnungen hängen an diesem „Bauchhirn“. Auch dieses zweite Gehirn benötigt in seinen Zellen eine gute Jodversorgung. Und darüber hinausgehend hat dieses Bauchhirn auch eine eigene Hormonproduktion – Serotonin, beispielsweise, oder auch Dopamin. „Glückshormone“ nennt man sie beide, weil sie gebraucht werden, um das Grundgefühl der Zufriedenheit hervorzurufen, das wir zum Leben brauchen. Ohne die Schilddrüse liegen diese Zellen brach, wodurch sich eine Leere in uns einstellt. Die Hormonproduktion versiegt. Aber auch die Hirnzellen sind überaus stark von einer gut funktionierenden Schilddrüse abhängig. Wenn diese nicht dafür sorgt, dass der Hirnstoffwechsel funktioniert, erscheinen wir dümmer und fauler, als wir eigentlich sind. Man muss mal erlebt haben, was die Gabe von L-Thyroxin bei Menschen auch intellektuell und gefühlsmäßig bewirken kann, wenn über längere Zeit ein Mangel am Schilddrüsenhormon vorgelegen hat. Wie sehr diese Menschen aufwachen in jeder Hinsicht. Wo vorher Gleichgültigkeit und Depression regiert haben, gerät nun der Mensch wieder in Bewegung, wacht auf, und entfaltet sich. Es ist ein Vorgang wie bei einer Raupe, die sich verpuppt hat und nun zum Schmetterling wird. Der Mensch, der aus dieser Verpuppung kriecht, ist der eigentliche Mensch, nämlich das, was in ihm gesteckt hat. Er konnte es nur entfalten durch eine gut funktionierende Schilddrüse, die genau die fein abgestimmte Dosis an Hormon verabreichen kann, die dazu notwendig ist, so einen Vorgang der Entfaltung hervorzurufen.

Diese einleitenden Worte seien an dieser Stelle getan, um den Wahnsinn der Schilddrüsenoperiererei ein Ende zu setzen. Denn diese Entfernung der Schilddrüse schafft ein besonderes Problem: Dass Sie nachher Tabletten nehmen müssen, die man derzeit noch in keiner Weise so dosieren kann, wie das die Schilddrüse belastungs- und biorhythmusabhängig brauchen würde. Dem Körper dabei Gewalt anzutun und ihm eines seiner wichtigsten Organe zu rauben, ist schrecklich genug, und die dabei entstehende Narbe auch kein kleines Problem unter energetischen Gesichtspunkten, von denen wir hier gar nicht reden wollen. Aber das wahre Drama der Operation liegt im Danach. Denn nur wenige Menschen bekommen nach einer Operation ungefähr die Schilddrüsenhormonmenge über ihre L-Thyroxin-Tablette, die sie wirklich brauchen, und das Resultat davon: Sie leben nur ein halbes Leben. Deswegen gehört es zu einer der wichtigsten Aufgaben des Arztes, eine Operation mit allen Mitteln zu verhindern, soweit kein schwerwiegender Grund für die Durchführung einer Operation besteht. Sicherlich waren die ärztlichen Kollegen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gut beraten, Jodmangelkröpfe zu operieren, die so schwerwiegend waren, dass sie den Betroffenen die Luft zum Atmen raubten. Doch solche riesigen Strumen, die man – wenn man älteren Schilderungen trauen darf – aufgrund ihrer Größe sogar über die Schulter auf den Rücken werfen konnte, um vorne am Hals Platz zu schaffen, gibt es heute gar nicht mehr. Sicherlich ist es auch sinnvoll, bei Schilddrüsenkrebs zumindest jenen Teil der Schilddrüse operativ zu entfernen, in dem der Tumor sitzt. Ob gleich in höchster Radikalität das Organ selbst wie bei einer Strafaktion mit Stumpf und Stiel dabei ausgerottet werden soll, wie das bei einer „Strumektomie“ gemacht wird, müsste eigentlich auch diskutiert werden, aber das sei an dieser Stelle geschenkt. Aber von diesen Fällen müssen wir hier gar nicht reden, weil sie sehr selten vorkommen. Das häufigste ist eine Schilddrüsen-OP, die überhaupt nicht notwendig gewesen wäre. Zumindest, wenn man daran glaubt, dass man Schilddrüsenknoten auch ohne eine Operation oder Bestrahlung behandeln kann – was ja leider nicht viele Ärzte glauben. Es fällt vielen davon schon schwer, Schilddrüsenknoten einfach zu akzeptieren und zu beobachten. Und es gibt noch weniger, die einen Knoten beobachten, ohne gleich nebenbei L-Thyroxin zu verordnen – egal wie fragwürdig diese Gabe ohnehin sein mag. Nach meiner Erfahrung gibt es nur sehr wenige Knoten, deren Wachstum dabei zum Stillstand gekommen ist. Aber solche medizinischen Erwägungen werden ja auch immer seltener. Wer Schilddrüsen operieren will, sucht ja mitunter nur nach Begründungen dafür, ohne sich Gedanken zu machen, was die Sache für den Betroffenen bringt, und ohne sich die Frage zu stellen, ob sich die Mühsal des Eingriffs und seiner Folgen überhaupt lohnen. Meistens wird heute aus einem Grund operiert, denn ich an dieser Stelle schonend als Dummdiedeldei bezeichnen möchte. Nämlich aus nichtmedizinischen Gründen. Beispielsweise, weil so eine Operation einem Krankenhaus dabei helfen kann, Personal zu bezahlen. Oder weil ein Bürokratismus eine bestimmte Anzahl von Operationen im Jahr von einem Chirurgen oder einer Krankenanstalt fordert, um die Genehmigung für diese Eingriffe für das nächste Jahr zu erhalten. Oder es ist ein Investor, der einen Chefarzt dazu zwingt, so und so oft im Jahr Schilddrüsen zu operieren, weil diese Art von Eingriff kostentechnisch günstig und risikoarm ist. Wir sprechen hier also von Operationen, die mit Ihnen und Ihrer individuellen Krankheit überhaupt nichts zu tun haben. Diese sollten auf jeden Fall verhindert werden. Und die Drohgebärden von Ärzten, die ihren Klienten Schilddrüsenoperationen damit aufdrängen wollen, sollten aufhören. Denn auch die häufig von Ärzten gemachte Aussage, dass Knoten ja womöglich zum Krebs „entarten“ könnten, ist ja schlichtweg falsch. Knoten bleiben in der Regel das, was sie von Anfang an waren, nämlich entweder gutartig oder bösartig. Wenn man heute alle PatientInnen, bei denen eine Schilddrüsen-Operation geplant ist, vor dem OP stoppen würde, könnte man bei kritischer Hinterfragung wahrscheinlich über 90 Prozent wieder zurückschicken und anderen sanften Heilmethoden zuführen, mit denen sie weit effektiver und unter Erhaltung der Schilddrüse heilend behandelt werden könnten. Denn die Schilddrüse ist ja nicht irgendein Stück Fleisch, von dem keine große Eigeninitiative zu erwarten ist, sondern ein überaus kluges und feinfühliges Organ, das auf wohlbedachte und abgemessene therapeutische Reize durchaus zu reagieren weiß. Wie oft ist es mir gelungen, durch ein paar Kügelchen einer homöopathischen Arznei Schilddrüsenknoten zum Schrumpfen zu bringen! Wie oft sind diese von selbst verschwunden, weil ein großer seelischer Konflikt, eine innerliche „Verknotung“ durch irgendwelche Umstände behoben wurde! Heilungen sind gerade bei der Schilddrüse in der naturheilkundlichen Praxis an der Tagesordnung Denn die Schilddrüse ist nicht nur das Organ, das unsere innerliche Entfaltung bewirkt, sondern auch eines, mit dem sich „reden“ lässt, das selbst durchaus bereit ist, in die Richtung einer Heilung zu „arbeiten“. Dafür braucht sie wenig mehr als eine ausreichende Versorgung mit Jod in der Nahrung und im Krankheitsfall eine gute Schilddrüsenpflege mit Schüßler-Salzen, Bachblüten, Homöopathie, Heilpflanzen und Temperaturanwendungen, alles Heilreize, die als überaus sanft und rücksichtsvoll gelten dürfen, und deshalb von einem so intelligenten Organ auch am besten verstanden werden können. Und diese Reize müssen ihr erst angeboten worden sein, bevor man überhaupt an chirurgische Eingriffe denkt.